Sprechen wir also über diese Liebe
"Sprechen wir also über diese Liebe." Dieser Satz hängt in meinem Wohnzimmer an der Wand. Was für ein großes Wort, was für eine Welt, die dahinter liegt. Tausendfach beschrieben, erhofft, beklagt und erlangt, verloren, vergessen und vermisst. Was wir machmal vergessen: Sie ist überall. Wir treffen sie an der Haltestelle, beim Bäcker und in der Warteschlange vor dem Bankautomaten - doch auch an ungewöhnlichen Orten ist sie zu finden. Liebe ist wie eine wilde Blume, die überall aufgeht, wo die Saat den Platz dafür findet. Da kommen wir ins Spiel: Wie können wir ihr den Raum geben? Und wie können wir loslassen, was uns davon abhält?
Viele Menschen um mich herum sind einsam. Oft kommt es mir so vor, als ob wir die Einzelnen wegen all der Menschen nicht mehr sehen können. Als die Pandemie losging, war die Klage groß: Wo soll man jetzt noch jemanden kennenlernen? Doch wir sehen überall Menschen - auf der Straße, in der Bahn. Es ist nicht schwieriger geworden, uns in die Augen zu sehen, nur die Ausrede es nicht zu tun ist viel greifbarer. Wie kann etwas, das wir uns alle wünschen, so schwer zu finden sein? Vielleicht liegt es an der Art, wie wir uns ihr nähern; wir installieren auf unseren Smartphones Apps um uns das Angebot an potentiellen Partner:innen anzusehen, zu bewerten und nach links oder rechts zu wischen. Doch wie soll man dem kritischen Blick standhalten, wenn er nur eine Sekunde auf uns liegt? Was ist mit unseren Träumen, Eigenschaften, Macken und ganz individuell Wunderbarem, das einen echten Moment braucht um sich zu offenbaren?
>>Liebe braucht Zeit<<
Das virtuelle Daten ist dennoch sinnvoll - die Qualität einer Liebe ist nicht deshalb schlechter, weil der Weg zu ihr erleichtert wird. Womöglich tut man aber gut daran, sich nicht allein nur darauf zu verlassen um ein "perfect Match" zu finden. Ich glaube fest daran, dass Liebe zuerst woanders beginnt, bevor sie auf andere überschwappt. Statt darauf zu warten, dass jemand kommt um uns zu retten, könnten wir uns zuerst entdecken, herausfinden wer wir eigentlich sind, was wir wollen und mit wem wir es teilen möchten. Wie kann eine andere Person uns begreifen, wenn wir selbst nicht wissen, wer uns da aus dem Spiegel entgegenblickt? Dafür brauchen wir den Mut und das Bewusstsein, dass unsere Liebe zu allererst bei uns selbst sehr gut aufgehoben ist. Dazu dürfen wir an uns arbeiten, herausfinden, warum es beim letzten Mal vielleicht nicht geklappt hat und seinen Mustern auf den Grund gehen. Wer sich nicht Zeit dafür nimmt, wieder ganz bei sich selbst anzukommen und diesen Prozess ganz bewusst zu erleben, läuft Gefahr, die gleichen Dinge zu wiederholen. Liebe braucht Zeit zu kommen und zu vergehen. Klingt es nicht schön zu sagen, man wartet mit dem Verlieben bis man bereit ist anstatt es zu überstürzen weil man einsam ist?
Die gute Nachricht dazu ist, dass es dafür keine Schablone gibt. Schon unzählige Male hat man sich Hals über Kopf verknallt und hat den Prozess so über Nacht erlebt. Denn auch das ist möglich - mangels besserer Erklärungen könnten wir davon ausgehen, dass in der Liebe Raum und Zeit oft relativ sind. Vielleicht schaffen wir aber, den Unterschied zu erkennen. Ist man bereit, sich einzulassen oder wird uns geschmeichelt? Diese Liebe hat nur eine Chance, wenn sie auf fruchtbaren Boden fällt und nicht gleich zu Beginn große Stürme und Proben überstehen muss. Für all das dürfen wir also Mut aufbringen. Für den Blick auf uns selbst, das Aushalten der eigenen Aufmerksamkeit, die Zuwendung, die wir oft vergessen und die Auseinandersetzung mit unseren Dämonen. Doch wir brauchen auch Mut, wenn wir uns zeigen, rausgehen, Blickkontakt aufnehmen und halten und hin und wieder unsere Komfortzone verlassen und Veränderung willkommen heißen.
>>Alle tragen ein Päckchen mit sich herum<<
Ist das erst geschafft, beginnt das Kennenlernen, sich offenbaren und so gruselig wie es für die meisten klingt ist es gar nicht. Es ist nicht mal besonders schwer. Denn all diese Dinge erfordern keine Wissenschaften oder Fachkenntnis - etwas, das so leicht ist und gleichzeitig so tief greift, braucht ein Loslassen. Wir können nicht fliegen, wenn wir uns immer nur am Abgrund festklammern und versuchen den besten Weg zu finden. Liebe ist etwas, das passiert, wenn wir es zulassen. Die Angst loslassen und zwar immer wieder ist unsere Aufgabe. Alle tragen ein Päckchen mit sich herum, Scham, Verletzung und Enttäuschung - doch das hat in einem neuen Leben keinen Platz, mit einem Menschen, der ein ganz anderer ist, als der Mensch, der uns verletzt hat.
Wir brauchen auch Mut zur Lücke. Wir dürfen uns selbst gestatten nicht perfekt zu sein, damit wir nicht nur versuchen, dem anderen Menschen zu gefallen. Auch die andere Person ist nicht perfekt, das zu erkennen wenn die rosarote Brille mal gelüftet wird, ist auch etwas, das wir uns trauen dürfen. Liebe heißt, sich die Dinge am anderen zu suchen, die man lieben kann - was uns stört und nervt wird immer wieder und heftiger kommen. Dafür sind wir alle zu sehr Mensch und können uns da an unsere eigene Nase fassen. Versuch also gar nicht erst, Liebe und alles was mit ihr kommt zu kontrollieren, schließ lieber die Augen, streck die Hände aus und genieß die Karussellfahrt.
Was sind also die ersten Schritte? Zu verstehen, dass man verdient geliebt zu werden für die Person die man ist. Dazu dürfen wir uns verlieben, in uns selbst und in das Leben. Denn Liebe kommt dann, wenn wir sie unwiderstehlich anziehen - in der Leichtigkeit des Augenblicks, jeden Tag.