Erst höre ich das Tipptappen ihrer Pfoten, unbeschwert und leicht, dann biegt sie um die Ecke. Zuerst die feuchte Nase, dann zwei neugierige Augen, schon steht der ganze Hund vor mir. Und weißt du was? Sie kann sprechen. Sie kann mir in Sekunden mitteilen wie es ihr geht und was sie gerade braucht. Meistens ist das - oh Überraschung - etwas zu essen. Oft aber auch die Frage nach einer Streicheleinheit oder einer wilden Spielrunde. Dieses Mal letzteres: Sie fragt, ich verstehe sofort und los geht die wilde Jagd nach der alten Socke, um die sie so gerne mit mir kämpft.

Ich erzähle das nicht nur um mit dir zu teilen, wie niedlich meine Hündin ist. Okay, das auch. Mir ist aufgefallen, dass Hunde generell eine Sache gut können, von der wir Menschen uns eine gewaltige Scheibe abschneiden können: Sie kommunizieren einfach ihre Bedürfnisse. Klingt erstmal seltsam, denn wir sind doch diejenigen die sprechen können. Wir haben die Möglichkeit unsere Wünsche zu artikulieren, wir können diskutieren, höflich bitten oder forsch einfordern. Das Problem aber ist: Es fällt uns ziemlich schwer zu sagen, was wir brauchen.

Dabei würde es uns viel leichter fallen glücklich zu sein, wenn unseren Bedürfnissen begegnet würde. Vielleicht sagt man deshalb, dass Hunde so glückliche Lebewesen sind und dass sie zum Teil mehr geliebt werden als die eigene Ehefrau. Sie bitten um das was sie brauchen und zwar so, dass wir es gar nicht ignorieren können. Das machen sie, weil sie genau wissen, dass ihr Leben davon abhängt, dass wir ihnen helfen. Mit uns zu kommunizieren ist also ihre Jagd nach Nahrung und ermöglicht durch Spiel und Nähe auch ihr Zugehörigkeitsgefühl in ihrem Rudel.

Meine Hündin ist da nochmal etwas spezieller. Sie kann ganz spezifisch nach etwas zu trinken oder essen fragen oder signalisiert mir, dass sie nicht so gerne an dem anderen Hund vorbeigehen würde und ob ich nicht mit einen Bogen machen könnte um den anderen zu vermeiden. Gestern hat sie einen neuen Wunsch geäußert; wir kamen von einem Spaziergang im Regen und nachdem ich sie ein bisschen abgetrocknet hatte, zeigte sie mir, dass ich das Handtuch in ihr Körbchen legen sollte, damit sie sich so nass wie sie war hinlegen kann. Ich war ganz schön baff.

Stell dir mal vor, wir könnten einfach immer um Hilfe bitten oder um einen Gefallen. Wäre es nicht toll, wenn es gar kein Ding wäre zu sagen, wenn uns etwas nicht gefällt ohne dass wir nachtragend sein müssen? Könnten wir nicht eher alles bekommen, was wir brauchen? Erinnerst du dich daran, dass du es früher gut konntest? Als Kind? Denn als Baby schreien wir wenn wir Hunger haben oder Blähungen, pfeffern Dinge in die Ecke um unseren Unmut auszudrücken. Auch wenn ich das jetzt mit meinen 39 Jahren nicht unbedingt genauso äußern wollen würde und ich mich um viele dieser Bedürfnisse selbst kümmern kann: Warum haben wir damit aufgehört zu sagen, was wir brauchen?

Als Fotograf merke ich das oft bei meinen Kund:innen. Für meine Arbeit ist es so wichtig zu verstehen, wie es den Menschen geht, was sie brauchen, wie sie sich fühlen. Ohne Empathie funktioniert keine Fotografie. So kommt es, dass ich es meinen Kund:innen oft aus der Nase ziehen muss, was ihre Bedürfnisse sind. Manchmal wissen sie das gar nicht - so wenig sind wir es gewöhnt, es zu verbalisieren. Auch hier ist eine große Chance: Wir können lernen zu fühlen, was wir brauchen, wenn wir es aussprechen müssen. Worte schaffen zuerst Realitäten und dann Lösungen.

Ich schlage ein Experiment vor: Behalt dir meine Worte im Hinterkopf und versuch für einen Tag oder noch besser eine Woche deine Bedürfnisse den entsprechenden Menschen gegenüber zu äußern. Sag, wenn du eine Umarmung brauchst oder in Ruhe gelassen werden möchtest. Bitte um Hilfe und um Entschuldigung und sei dir nicht zu stolz, wenn du etwas wissen möchtest. Wir können vielleicht nicht alles was unsere Hunde so tun auf uns anwenden - aber gewisse Dinge werden auch uns helfen, glücklicher zu sein, weil wir verstanden werden. Wenn du willst, dass man auf dich eingeht, dann sag was du brauchst.

So, mit den Gedanken muss ich dich jetzt alleine lassen, denn meine Hündin signalisiert mir gerade, dass es wieder mal Zeit wäre, gemeinsam um die Häuser zu ziehen. Ich bin dann mal unterwegs und mach mir auch Gedanken, was ich so brauche und wie ich es für mich stimmig kommunizieren kann. Falls ich dich also bald um etwas bitte, dann weißt du genau warum. Ist das nicht herrlich einfach?